Euthanasie
Kürzlich bin ich bei der Lektüre der NZZ (internationale Ausgabe; man gönnt sich ja sonst nichts) auf einen interessanten Artikel über die Sterbehilfe gestossen. Sterbehilfe, Euthanasie, ein böses, ja sündiges Wort, ein Gespenst, das bei Leuten Ängste, zum Teil gar Assoziationen zu Nazideutschland u.dgl. weckt. Das Thema war auch anlässlich der Vorlesungen zur Rechtsphilosphie während meines Studiums sehr kontrovers und löste bei vielen Mitstudenten heftige Reaktionen aus. Auch mich hat dieses Thema stets sehr interessiert. Um es vorweg zu nehmen: Ich stehe der Sterbehilfe eher wohlwollend gegenüber. Nicht weil ich den Suizid besonders fancy oder attraktiv fände, ooh non, loin de là. Doch beginnen wir von vorn: In der Schweizer Rechtsordnung werden rechtlich drei Konstellationen unterschieden: erstens die unter gewissen Voraussetzungen straffreie Beihilfe zum Suizid, zweitens die grundsätzlich straflose passive Sterbehilfe und drittens die verbotene und strafbare aktive Sterbehilfe. Gemeinsam ist allen drei Situationen, dass jemand (der urteilsfähig ist!) sterben will und dabei auf die Unterstützung eines Dritten angewiesen ist. Unterscheidungsmerkmal zwischen der Beihilfe zum Suizid einerseits und der (aktiven oder passiven) Sterbehilfe andererseits ist die sog. Tatherrschaft. Wenn ich Beihilfe zum Suizid leiste, ist es immer noch der andere, der sich umbringt; ich reiche ihm ledglich den Becher oder bringe ihm das Seil. Bei der Sterbehilfe hingegen ist der Dritte handelnde Person. Der Sterbenswillige ist dann nicht in der Lage, sich selber den Tod zu geben und zieht deshalb einen Dritten bei, der die gewollte Handlung "an seiner Statt" ausführt. Was unterscheidet nun aber die aktive von der passiven Sterbebehilfe? Juristisch je nach dem mehrere Monate Gefängnis. Faktisch knüpft man aber vereinfacht gesagt daran an, ob der Dritte "aktiv" tötet oder einfach nur sterben lässt ohne etwas dagegen zu unternehmen. Das letztere ist erlaubt. Das aktive Töten auf Verlangen stellt aber eine strafbare, weil verbotene Handlung dar. In meinen Augen ist diese strafrechtliche Unterscheidung eine monumentale intellktuelle Fehlleistung. Denn in meinem Rechtsverständnis darf jeder sterben wollen und sich den Tod geben. Der Suizid darf nicht verboten sein. Oder sollte man etwa jenen, der einen "erfolglosen" Selbsttötungsversuch unternommen hat, für eine versuchte Straftat bestrafen? Wohl kaum. (Deshalb heisst es übrigens "Beihilfe" zum Suizid und nicht Gehilfenschaft oder Anstiftung, da diese zwei Teilnahmeformen nur im Zusammenhang mit Straftatbeständen auftreten können; zum Beispiel Gehilfenschaft bei einem Mord. Beim erlaubten Suizid redet man aus diesem Grund verschämt von Beilhilfe, ein juristischer Gummibegriff). Ein Verbot des Suizids wäre mit der fundamentalen Freiheit des Menschen unvereinbar, ja wäre gar Ausdruck eines totalitären Staates, der sich der Intimsphäre der Menschen bemächtigt. Wenn ich mich nun aber töten darf, wenn es sozusagen "mon bon plaisir" ist und ich die natürliche menschliche Freiheit habe es zu tun, warum soll ich dann nicht auch darin einwilligen können, dass es jemand für mich übernimmt? Ich darf ja auch darin einwilligen, dass man mich verletzt oder dass man mein Eigentum zerstört. Dies ist nun umso wichtiger wenn die natürliche Freiheit aus (banalen) physikalischen Gründen beeinträchtigt ist (etwa bei einer Lähmung). Dass man dem Gelähmten in der Ausübung von dessen Freiheit und auf dessen Aufforderung hin nicht behilflich sein darf, stellt für mich geradezu einen Skandal dar. Über mein Leben darf ich verfügen. Deshalb ist es nicht Sache des Staates, meine Freiheit zu beschneiden. Dass die Tötung auf Verlangen verboten ist, ist ein systemischer Riesenbug in unserer Rechtsordnung. Die Unterscheidung zwischen "aktiver" und "passiver" Sterbehilfe ist aber unabhängig von der juristischen Sanktion noch viel absurder. Ich jedenfalls verstehe den Unterschied nicht. Wenn mich jemand bittet, die Geräte abzuschalten oder nicht erst in Betrieb zu nehmen, dann löst dies in mir einen frei gefassten Entschluss hervor, darüber, ob ich der Aufforderung Folge leisten will oder nicht. Diese Freiheit hat auch meine persönliche umfassende Verantwortung für meine Folgehandlung zur Folge, ob ich dies nun möchte oder nicht, und wie immer auch mein Entschlus ausfallen mag. Sollte ich dem Wunsch des Sterbewilligen nachkommen, dann steht am Ende meines Entschlusses der (in diesem Sinne von mir durchaus gewollte!) Tod des Sterbewilligen. Dies ist bei der aktiven Sterbehilfe nicht anders. In beiden Fällen gestaltet die innere Entschlussfreiheit des Sterbehelfers die Welt, genauer: entscheidet über Leben und Tod. Diese Freiheit des Sterbehelfers ist das zentrale Element. Das moderne Strafrecht knüpft an die innere Freiheit an, an die praktische Fähigkeit eines Jeden, sich zwischen einzelnen möglichen Handlungen für eine bestimmte zu entscheiden. Nur deshalb ist Strafbarkeit im Allgemeinen überhaupt rechtfertigbar. Im Bereich der Sterbehilfe wird nun aber dieser Weg grundlos verlassen bzw. wird das zentrale Anknüpfungsmerkmal völlig aufgegeben und man fragt lediglich noch danach, wie die Tat von aussen denn "aussah". Juristisch wirds deshalb schwammig (ist das Abstellen von Geräten wirklich eine "passive" Handlung???). Um noch einem häufigen Vorwurf zu begegnen: ich plädiere hier nicht für eine Pflicht zur Sterbehilfe (namentlich von Ärzten). Doch verletzt es mein Rechtsempfinden zutiefst, dass man dafür bestraft werden soll. Wenn man es aber schon bestrafen will, dann sollte man mindestens "passive" und "aktive" Sterbehilfe gleich behandeln. |
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